Ein Gespräch mit Ola Ammoura
Über die gesundheitliche Versorgung von geflüchteten Frauen (2017)
Viele denken, dass die Ärzte in Syrien besser sind.
– Ola Ammoura
Die Medizinstudentin Ola Ammoura ist Teil des Teams von „Women for Women“, einem Projekt der Charité, das vom Landesfrauenrat Berlin mitinitiiert wurde. Selbst erst vor drei Jahren mit Ihrer Familie von Syrien nach Berlin geflüchtet, kennt die 22-Jährige die Situation geflüchteter Frauen in den Unterkünften aus eigener Erfahrung. Als Medizinstudentin hat sie außerdem einen Einblick in die Herausforderungen in der gesundheitlichen Versorgung geflüchteter Frauen in der Hauptstadt. Wir haben mit ihr über die Barrieren im Gesundheitssystem für geflüchtete Frauen gesprochen.
Du studierst schon seit einigen Semestern Medizin und hast im Rahmen Deines Studiums auch im Krankenhaus gearbeitet. Welche Schwierigkeiten siehst Du bei der ärztlichen Versorgung von geflüchteten Frauen?
In den Krankenhäusern gibt es viele arabische Frauen, die kein Deutsch sprechen: geflüchtete Frauen, Frauen, die in Deutschland Urlaub machen oder die hier hergekommen sind, um sich operieren zu lassen. Wenn keine sprachliche Verständigung möglich ist, ist die Behandlung richtig schwierig. Einmal gab es z.B. den Fall, dass eine Frau das Kind verloren hatte. In der Zeit, als sie eingeliefert wurde, hatte ich frei. An dem Tag, als ich wieder gearbeitet habe, sollte die Frau entlassen werden und der Arzt hat mich geholt, um zu übersetzen. Dabei stellte sich heraus, dass die Frau nicht einmal wusste, dass sie das Kind verloren hatte! Es war niemand da gewesen, der hätte übersetzen können. Das war für mich ein richtiger Schock!
Wenn die Sprachkenntnisse fehlen, kann außerdem kein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten entstehen. Und dann kommt noch hinzu, was Syrer über deutsche Ärzte denken.
Was denken sie denn über deutsche Ärzte?
Viele denken, dass die Ärzte in Syrien besser sind als in Deutschland. Ich glaube, das liegt zu einem Teil daran, dass das System hier anders funktioniert. Es dauert z.B. länger, bis man einen Termin bekommt und die Ärzte haben nicht so viel Zeit. Außerdem gibt es in beiden Ländern ein unterschiedliches Behandlungskonzept. Hier gibt der Arzt bei einem Schnupfen nicht sofort ein Antibiotikum, in Syrien schon. Wenn man ein Antibiotikum bekommt, ist man schneller wieder gesund und deshalb denken die Leute, der syrische Arzt wäre besser. Außerdem verordnen die Ärzte in Syrien häufiger weitere Untersuchungen. Dass dabei manchmal auch Geld eine Rolle spielt, ist den Menschen nicht bewusst. Sie wundern sich, dass sie bei einem Arzttermin in Deutschland nach drei Minuten wieder auf der Straße stehen und keine weiteren Behandlungen empfohlen wurden.
Sie fühlen sich also nicht gut aufgehoben, weil die deutschen Ärzte weniger machen?
Ja, genau. Sie sind es einfach gewohnt, dass mehr Untersuchungen gemacht werden. Oder auch Eingriffe wie der Kaiserschnitt. Viele Frauen in Syrien denken, dass der Kaiserschnitt besser ist als eine normale Geburt. In Syrien wird der Kaiserschnitt sehr häufig vorgenommen, auch ohne medizinischen Grund.
Welche Unterschiede gibt es bei der gynäkologischen Behandlung in Deutschland und Syrien, welche Herausforderungen und Probleme siehst Du?
Das erste und wichtigste Problem ist immer die Sprache. Doch auch die kulturelle Einstellung spielt eine Rolle: Manche Frauen bevorzugen Ärztinnen, andere denken, dass sie nur von Ärztinnen untersucht werden dürfen. Dabei stimmt das gar nicht: Wenn man krank ist, darf man als Frau auch aus islamischer Sicht von einem männlichen Arzt untersucht werden. Wenn die Frauen das nicht wissen, ist eine kulturelle Vermittlung nötig.
Kannst Du vielleicht ein Beispiel geben, wo Du einmal zwischen den beiden Kulturen vermittelt hast?
Ja, eine Freundin von mir musste nach der Geburt ihres Kindes noch einmal zu einer Untersuchung im Krankenhaus. Als sie erfahren hat, dass ein Mann sie untersuchen wird, hat sie sich geschämt. Ich habe ihr gesagt, dass keine Ärztin zur Verfügung steht und der behandelnde Arzt sogar Oberarzt ist. Dann war es für sie in Ordnung, sich untersuchen zu lassen. In Syrien ist das System anders, es ist flexibler: Wenn eine Frau eine Ärztin haben möchte, wird sie einfach geholt. In Deutschland ist bürokratischer, es gibt einen genauen Plan, nach dem gearbeitet wird. Dieses Wissen muss vermittelt werden.
Du arbeitest als Übersetzerin im Projekt „Women for Women. Charité für geflüchtete Frauen“ mit, das vom Landesfrauenrat Berlin mit initiiert wurde. Warum ist ein solches Projekt sinnvoll?
In ihren Heimatländern können die Frauen einfach zum Arzt gehen und ihre Fragen stellen. Hier gibt es oft niemanden, der beim Arzt übersetzen kann und selbst wenn ein Übersetzer dabei ist, trauen sie sich vielleicht nicht, ihre Fragen zu stellen. Wenn sie diese Informationen im Vortrag bekommen und außerdem Broschüren in ihrer Sprache verteilt werden, ist das für sie sehr hilfreich.
Die meisten Frauen freuen sich schon auf die Veranstaltungen und sind sehr interessiert. Während des Vortrags stellen sie viele Fragen: „wie kann ich dem vorbeugen?“, „wie kann ich mich davor schützen?“ (lacht). Und ich sage dann immer „das erzählt die Ärztin noch“ und dann übersetze ich weiter.
Die Frauen bekommen bei den Veranstaltungen einfach das Gefühl, dass sich jemand um sie kümmert und sich für sie interessiert. Dass sie nicht allein gelassen werden. Das ist sehr wichtig!
Vielen Dank für dieses interessante Interview!
Dieses Interview führte Isabell Merkle