Beitrag zur Veranstaltung mit Marlene Löhr:
„Wir erleben eine Zeit, in der sich
die Fronten verhärten“ (2017)
– Marlene Löhr über das Kopftuch, das gemeinsame Beten von Männern und Frauen und die Rolle der Frau im Islam
von Katharina Scholle
Marlene Löhr, Pressesprecherin der Ibn-Moschee in Berlin war am 27.11.2017 zu Gast beim Landesfrauenrat Berlin. Gemeinsam mit ihr sollten die Konflikte ums Kopftuch und die Situation von Musliminnen in unserer Gesellschaft diskutiert werden.
Marlene Löhr unterscheidet zwischen zwei Gruppen von Frauen, die aus unterschiedlichen Motiven ein Kopftuch tragen. Die erste Gruppe trägt das Kopftuch aufgrund einer Glaubensentscheidung, weil sie das Tragen des Tuchs als gottgefällig verstehen. Die zweite Gruppe trägt es aus missionarischen Gründen. Das Kopftuch wird getragen, um anderen zu vermitteln, sie müssten es auch tragen. Frau Löhr spricht in diesem Zusammenhang von schwarzer Pädagogik, die sie so zusammenfasst: „Wenn du dein Kopftuch nicht trägst bist du keine ehrbare Frau und kommst in die Hölle“. Mit diesem Motiv müsse vorsichtig umgegangen werden. Frau Löhrs Beobachtung nach nimmt es zu und innerhalb bestimmter Kreise werden vermehrt muslimische Frauen und Mädchen ohne Kopftuch diskriminiert und beschimpft. Unter diesen Vorzeichen empfindet sie es als falsch, wenn schon 7-jährige Mädchen ein Kopftuch tragen. „Wo ist da die freie Entscheidung?“ fragt sich Marlene Löhr.
Frau Löhrs Meinung nach ist es nach dem islamischen Glauben keine Pflicht, ein Kopftuch zu tragen. Sie möchte das Kopftuch weder verteufeln noch in den Himmel loben, stellt jedoch klar, dass die Bedeutung des Kopftuches in der Historie ein anderer war. Traditionell wurde ein Tuch von Frauen und Männern über dem Kopf getragen, möglicherweise zum Schutz vor der Sonne. Dieses Tuch sollten sich die Frauen an einem bestimmten Punkt der Geschichte des Islams über ihre Brust schlagen, um das große Dekolleté zu verdecken, das damals Mode war.
Insgesamt empfindet Frau Löhr die Rolle der Frau im Islam als bisher falsch interpretiert. Gleichzeitig misst sie dem Verhältnis der Geschlechter eine große Bedeutung bei. Ihrer Meinung nach wird sich an der Rolle der Frau entscheiden, ob Demokratie im Islam möglich ist.
Bisherige Argumentationsmuster und Verbote der Sharia weisen ihr zufolge alle in eine Richtung: „Es geht immer darum, den Mann nicht sexuell zu erregen“. Zum Beispiel sei es Frauen untersagt, vor Männern zu beten, denn dies könne sie vom Gebet ablenken. „Wer sich darüber Gedanken macht, hat die Bedeutung des Gebets noch nicht ganz verstanden“ setzt Marlene Löhr dagegen. Für sie ist wichtig, dass die Rolle der Frau im Islam gestärkt wird und sich Musliminnen emanzipieren können. Aber nicht eine Art von „Emanzipation“ bei der Frauen sich (gegenseitig) die Tücher vom Kopf reißen und sich als emanzipiert betrachten, sondern eine Art von Emanzipation bei der Frauen selbst entscheiden, ob sie das Kopftuch als Modeaccessoire, aus Tradition oder als Symbol für ihre religiöse Überzeugung tragen oder ablegen. Dies ist umso wichtiger in Zeiten, in denen sich die Fronten in der Gesellschaft und innerhalb der muslimischen Community verhärten.