Beitrag zur Veranstaltung:
-30 Jahre Mauerfall-
aus Sicht von Ost-Berliner Frauen (2019)
Am 21. Oktober 2019
Das war eine gemeinsame Veranstaltung mit dem berliner frauen netzwerk. Die zahlreichen Besucherinnen und Mitdiskutantinnen kamen aus Ost und West, waren jung und älter und hatten Fragen und Meinungen zur Rolle der Frauen im politischen Geschehen der Wiedervereinigung. Wer hat 1990 eigentlich die CDU gewählt und welche Erwartungen waren damit verbunden? Zwei ostdeutsch sozialisierte und lange schon im „Westen“ angekommene Berlinerinnen erzählten uns ihre Geschichten. Gabriele Zekina, Geschäftsführerin der Frauenkreise Berlin und Prof. Dr. Ulrike Kluge, Leiterin des Zentrums für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP) an der Charité.
Gabriele Zekina gehörte zu der Gruppe von Frauen in Ost-Berlin, die bereits in jenem Herbst 1989 ahnten, dass es gerade aus weiblicher Perspektive viel zu gewinnen, aber auch viel zu verlieren gab. Die DDR war ein „weit entwickeltes Gleichstellungsland“: Berufstätigkeit, wirtschaftliche Eigenständigkeit, flächendeckende staatliche Kinderbetreuung und sexuelle Selbstbestimmung waren im patriarchalen System des Sozialismus wichtige Bausteine der Emanzipation der Frauen. War es naiv, am 4. November 1989 auf der großen Demonstration in Berlin für einen besseren Sozialismus zu demonstrieren?
Prof. Dr. Ulrike Kluge, die Analytikerin, aufgewachsen „im Tal der Ahnungslosen“, war 1989 zwölf Jahre alt und thematisierte am Abend eher die Unterschiede Ost-West , die Sicht der Westfrau auf die Ostfrau und die Situation ihrer Elterngeneration, die eine „Migration ohne Ortswechsel“ erlebte. Offiziell gab es viel zu gewinnen, die Gefühle vieler Ostdeutschen am 9. November – Ängste, Sorgen, Wut, Traurigkeit – wurden in den Medien eher nicht thematisiert. Andererseits wird der „Ostmensch“ entweder als traumatisiertes Opfer oder als Stasi-Täter gesehen. Was sind die kleineren Verluste, welche Kränkungen gab und gibt es noch? Aus ihrer Sicht kann man den Ost-West-Unterschied immer noch an einer unterschiedlichen Sprechweise erkennen.
Aber es wurde auch viel Gemeinsames besprochen: die deutsche Geschichte, die nicht stattgefundene Aufarbeitung der Naziherrschaft, gegenseitige Projektionsflächen, die nach dem Mauerfall wegfallen sollten, eine „Integration der Nazis“ auf beiden Seiten als Ursache für den Rechtsruck heute. Im Rückblick auf die DDR waren sich die Referentinnen einig, dass das „depressive, kleinbürgerliche System“ männlich dominiert war.
Die spannende Diskussion schaute nicht nur zurück. Ostdeutsche Emanzipation hat auch Wirkungen auf westdeutsche Politik. So hält die „übertriebene Erwerbsneigung“ der Frauen an. Wertvorstellungen ändern sich. Die Zahl der Kitaplätze steigt unaufhörlich und Schulspeisung wird nicht mehr mit Suppenküchen verglichen!
Visionen für eine feministisch antirassistisch geprägte Zukunft sollten von uns Frauen gemeinsam verfolgt und geprägt werden. Feminismus muss heute heißen, solidarisch zu sein!
Ein Bericht von Dr. Christine Rabe