Bericht zur Veranstaltung: Digitale Gewalt gegen Frauen* und Feminist*innen

Posted by on Nov. 16, 2020 in Allgemein

Gewalt im Digitalen Raum gegen Frauen* und Feminist*innen

Digitale Gewalt ist ein Problem: Sie verletzt die Würde der Betroffenen, schränkt die Handlungsfähigkeit und demokratische Teilhabemöglichkeiten ein und kann sogar negative Folgen für Berufschancen haben. Mädchen* und Frauen* bzw. Feminist*innen und Personen, die sich im Netzt klar gegen Diskriminierungen aller Art positionieren, sind von Gewalt im digitalen Raum besonders betroffen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung ist mit einer weiteren Zunahme an enthemmter Kommunikation, Hass und Übergriffen zu rechnen. Was kann und wird bereits dagegen getan? Auf welchen Ebenen gibt es Schwachstellen und wie können Frauen* sich selbst schützen? – Oder ist das eigentlich die falsche Frage? Dass wir für unsere Oktober Veranstaltung Dr. Regina Frey als Referentin gewonnen haben, mit der wir über dieses wichtige Thema sprechen konnten, hat uns sehr gefreut.

Dr. Regina Frey ist Politikwissenschaftlerin und Politikberaterin für die Umsetzung von gleichstellungspolitischen Strategien. Sie hat diesen Sommer eine Expertise zum Thema Geschlecht und Gewalt im Digitalen Raum für die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung verfasst. Während das Thema Hass und Gewalt im Internet kein unerforschtes Feld ist, fehlt es an geschlechtersensiblen und intersektionalen Perspektiven zu den Auswirkungen von digitaler Gewalt. Insbesondere wird seit langem mehr empirische Forschung zum Thema eingefordert. Regina Frey und präsentierte uns die Ergebnisse ihrer qualitativen Analyse, die eine Bestandsaufnahme der bestehenden Erkenntnisse darstellt – aber auch auf Forschungslücken hinweist.

Die drei Räume Digitaler Gewalt

Um die Breite des Themas zu fassen, hat Regina Frey drei „Räume“ der digitalen Gewalt identifiziert. Diese Räume, oder auch soziale Felder überschneiden sich und ein umfangreiches Bild von unterschiedlichen Erscheinungsformen des Phänomens.

Als ersten Raum beschreibt sie das Feld der Erwerbstätigkeit und Öffentlichkeit. Hier sind es vor allem öffentlich, z.B. im Lifestyle- oder Entertainmentbereich tätige und im Netz agierende Frauen wie zum Beispiel Moderator*innen, Journalist*innen oder Influencer*innen, die angegriffen, beleidigt und bedroht werden. Inzwischen trauen sich immer mehr Frauen öffentlich über diese Gewalt zu sprechen, womit das Thema eine breitere Aufmerksamkeit findet. Frey macht aber auch deutlich, dass besonders marginalisierte Gruppen wie z.B. Platformen-/Click-/Crowdworker*innen in der Auseinandersetzung häufig unbeachtet bleiben. So sind Reinigungskräfte, die über eine Plattform vermittelt werden,  in besonders prekären Verhältnissen beschäftigt und angreifbar. Kommt es hier zu sexuellen Übergriffen oder gar Gewalt, greift häufig kein Arbeitsschutz oder es gibt keinen Arbeitgeber, an den sich gewendet werden kann.

Mit dem Netz/Politischen Feld benennt Dr. Regina Frey die spezielle Betroffenheit von Personen, die beruflich, ehrenamtlich oder aktivistisch zu Geschlechter- und Gleichstellungsthematiken arbeiten, wie Netzfeminist*innen oder Politiker*innen und Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte. Durch die Angriffe, die diese Gruppe erfährt, kann es zu einer Herausdrängung aus Prozessen politischer Beteiligung kommen – hier sei ein Demokratiedefizit festzustellen.

Als dritten Raum identifiziert Frey das Soziale Nahfeld. Vom Erhalt unerwünschter E-Mails bis hin zu einem Identitätsklau können Personen (vor allem Frauen*)  in unterschiedlichem Maße betroffen sein. Frey macht ebenfalls auf Trennungssituationen oder Konfliktfälle in Partnerschaften aufmerksam, in denen digitale Formate zum Stalking und zur Belästigung missbraucht werden. Häufig indem günstige und leicht zugängliche Spyware – die in Deutschland besonders weit verbreitet ist – auf den Geräten installiert werden, ohne das dies bemerkt wird. Häufig ist die Polizei in solchen Fällen nur sehr bedingt hilfreich und handlungsfähig, da sie selten mit dem benötigten Spezialwissen ausgestattet ist, um diese Fälle angemessen zu bearbeiten. Auch das „Smart Home“ biete vielfache Angriffsmöglichkeiten im Falle eines häuslichen Konflikts.

Funktionen Digitaler Gewalt

Digitale Gewalt fungiert in den meisten Fällen als Mittel der Unterordnung und soll bestehende Geschlechterrollen stabilisieren. Durch Einschüchterung von Frauen* und Androhung von Gewalt werden Männer begünstigt, da sie sich freier im digitalen Raum bewegen- und ihre Positionen vertreten können. Misogyne Einstellungen sind dabei intersektional verschränkt mit rassistischen, klassistischen oder homo- und transfeindlichen Überzeugungen. Die Gleichstellung wird damit konterkariert und Frauen*, non-binäre oder nicht-weiße Menschen aus der Öffentlichkeit herausgedrängt. So gehen junge Talente und Vorbildfunktionen verloren, die reale Pluralität unserer Gesellschaft wird nicht mehr abgebildet und bestimmte Perspektiven marginalisiert. Besonders im Netz/Politischen Raum sind Angriffe von Hate-Speech oftmals orchestriert und verfolgen das politische Ziel demokratische Mitwirkungsrechte zu beschneiden. Im privaten Umfeld ist es häufig ein Instrument um sich Personen (meist Frauen*) verfügbar zu machen und eine Geschlechterordnung oder Hierarchien in Beziehungen nach den eigenen Vorstellungen herzustellen.

Handlungsempfehlungen

Um gegen Digitale Gewalt vorzugehen braucht es nach Regina Frey mehr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema, um einen besseren Überblick der Ausmaße und Folgen zu bekommen. Darüber hinaus braucht es mehr Rechtshilfe und Beratung für Betroffene und die Polizei muss besser im Umgang mit und der forensischen Untersuchung von digitaler Geräte geschult werden.

Natürlich kann auch jede*r privat etwas tun und digitale Selbstverteidigungsstrategien anwenden, bestimmte Hashtags nutzen und sich solidarisch im Netzt zeigen. Allerdings darf es nicht dabei bleiben. Regierungen und Behörden müssen in die Pflicht genommen werden. Zum Beispiel indem die Schutzmechanismen der Istanbul-Konvention konsequent auch auf Digitale Gewalt bezogen werden.

Laden Sie hier den Beitrag als pdf-Dokument herunter: LFR Berlin I Bericht Digitale Gewalt I 19. Oktober 2020