Bericht
Frauen, Rollen Vorbilder!
Veranstaltung mit Bettina Jarasch

Posted by on Jun. 8, 2021 in Allgemein

Auch im Mai ist die Reihe „Frauen, Rollen, Vorbilder − erfolgreiche neue weibliche Karrieren!“ über Video-Chat fortgesetzt worden. Am 17. Mai war mit Bettina Jarasch die zweite Berliner Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl beim Landesfrauenrat zu Gast. Im Mittelpunkt der Diskussion: die Berliner Landespolitik. Das steht schon im Kontrast zu Frau Giffey, die den Fokus eher auf ihre Arbeit auf Bundesebene legte.

Man merkt Bettina Jarasch an, dass Wahlkampf ist. Es gibt keine Frage zur aktuellen Berliner Politik, die sie nicht ausführlich beantworten kann − egal ob es um die weiteren Planungen für die A100 geht, die Regulierung des Mietmarkts oder mögliche Wege, die Bildungschancen an den Berliner Schulen zu verbessern. Aber Wahlkampf bedeutet auch, keine leeren Versprechungen zu machen. Auf die Frage, ob sie die Gleichstellungspolitik als Bürgermeisterin zur Chefinnensache machen würde, antwortet sie vermittelnd: Ressortverteilungen sind Teil von Koalitionsverhandlungen, dem will sie nicht vorgreifen. Außerdem betont sie, dass Gleichstellungspolitik eine Querschnittsaufgabe ist, die in allen Teilen des Senats initiiert und vorangetrieben werden muss. Das kann nicht nur in einem Ressort passieren. Viel wichtiger ist ihrer Meinung nach, dass in zentralen Bereichen wie zum Beispiel dem Finanzressort die notwendige Expertise vorhanden ist, um Gleichstellungspolitik voranzutreiben und Beschlüsse wie das Gender Budgeting in die Tat umzusetzen.

Zum Einstieg betont Bettina Jarasch, dass sie sich selbst als Feministin versteht − was sie bei Politikerinnen nicht als Selbstverständlichkeit erlebt. Sie sieht sich selbst − sie ist Jahrgang 1968 − als Teil der Generation von Frauen, die dachten, dass es nicht mehr so viel Gleichstellung braucht. Sie ist damit aufgewachsen, dass sie alles erreichen kann und darf. Dazu hat ihrer Ansicht nach auch beigetragen, dass sie in Bayern auf eine Klosterschule für Mädchen gegangen ist. Rückblickend sieht sie diese Zeit als eine “emanzipierte Angelegenheit”. Auf einer Mädchenschule haben sich Mädchen ganz selbstverständlich auch für MINT-Fächer interessiert und die Nonnen hätten sie darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Dadurch habe sie erst sehr spät im Leben gemerkt, dass es gläserne Decken für Frauen gibt. In Berlin hat sie in ihrem Philosophiestudium erlebt, dass in Seminaren Männer für die gleichen Fragen deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen haben als die Frauen.

Zu den Grünen ist sie erst relativ spät durch die Arbeit mit Geflüchteten gekommen. Ihrem Politikverständnis nach gehören die Schwächsten in den Mittelpunkt. Erst später hat sie gelernt, dass diese Sichtweise feministisch ist. Auf Kritik aus der Runde, dass diese Haltung Frauen per se zu den Schwächsten zähle, betont sie: “ Eine feministische politische Haltung, die die besonders verletzlichen Gruppen in den Mittelpunkt stellt, bedeutet nicht, dass die Frauen selbst die Schwächsten sind, sondern orientiert sich solidarisch an den jeweils Schwächsten: In der Verkehrspolitik beispielsweise an den Interessen von Fußgänger*innen und Radfahrer*innen. So Politik zu machen, bedeutet auch, sich mit Verteilungsfragen auseinanderzusetzen.”

Das Paritätsgesetz ist ein zentrales Projekt für die Arbeit des Landesfrauenrates. Also liegt es nahe, Bettina Jarasch nach ihrer Haltung dazu zu fragen. Die Grünen haben das Gesetz aus ihrer Sicht nicht nötig, denn bei den Grünen gibt es eine Mindestquotierung, sodass die Ämter in der Partei mindestens paritätisch, in der Praxis jedoch mehr als 50 Prozent, mit Frauen besetzt werden. Auch die anderen Parteien könnten von sich aus und ohne Gesetz Frauen an die Spitze bringen. Nachdem bereits zwei Paritätsgesetze in zwei Bundesländern durch gerichtliche Entscheidungen gekippt wurden, sei es wichtig, auch nach anderen Wegen zu suchen, um dem Ziel der Parität näher zu kommen: “Wenn es ein verfassungskonformes Paritätsgesetz gibt, sind wir dabei”.  Deshalb will sie gleich an diesem Abend “in Beratung gehen” und erkundigt sich bei der Vorsitzenden Dr. Christiane Rabe, wie der Landesfrauenrat mit den Urteilen aus Thüringen und Brandenburg zu den Paritätsgesetzen umgeht, die die Gesetze in dieser Form gekippt haben. Dr. Christine Rabe antwortet, dass sie bei dem Thema viel Euphorie erlebt hat, auch in der Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Urteile in Potsdam und Erfurt haben alle Beteiligten verunsichert. Aber sie ruft dazu auf, dass die Frage des Paritätsgesetzes für die Wählerinnen und Wähler ein Wahlprüfstein sein sollte. “Wir sind teilweise ratlos, aber es steht auf unserer Prioritätenliste ganz oben.“

Noch ein weiteres Gesetz wird an diesem Abend diskutiert: das Berliner Neutralitätsgesetz. Während Bettina Jarasch zum Zeitpunkt der Einführung eine positive Haltung gegenüber dem Gesetz hatte, weil Berlin mit seinem Gesetz alle religiösen Symbole gleich behandelt hat, hat sie inzwischen ihre Haltung geändert: In den vergangen Jahren hat sie unterschiedliche muslimische Frauen kennengelernt und ihre Haltung zum Kopftuch revidiert: Es gibt viele Muslima, die selbstbestimmt Kopftuch tragen und es keineswegs als Symbol für Unterdrückung sehen. Unabhängig davon gibt es ein Gerichtsurteil gegen das Gesetz und damit den Auftrag, es zu überarbeiten. Für Bettina Jarasch bringen Lehrerinnen mit Kopftuch mehr Diversität ins Klassenzimmer. Aber es müsse auch klar sein, dass diese Lehrerinnen das Selbstbestimmungsrecht der Schülerinnen stärken sollen, egal, ob sie das Kopftuch selbstbestimmt tragen oder dagegen opponieren.

Wie schon die vorherigen Gäste wird auch Bettina Jarasch am Ende des prall gefüllten Abends nach einem Rat an die jungen Frauen gebeten. Jarasch äußert sich eindeutig: Bitte reingehen in die Strukturen und keine Angst vor Macht haben. Wenn man die Chance hat, Macht zu bekommen, dann soll man sie nutzen. Denn in einflussreichen Positionen kann man auch Strukturen verändern. Dies will sie nicht nur als Ratschlag verstanden wissen, sondern auch als Wunsch an die jungen Frauen.

Ein Bericht von Denise Schöwing