Bericht
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft
Geschlechtergerechtigkeit kommt nicht von alleine – schon gar nicht in der Privatwirtschaft. Die Bestrebungen, durch ein Gleichstellungsgesetz gerechte und progressive Unternehmenskulturen zu etablieren, sind bislang an Widerständen aus Politik und Wirtschaft gescheitert. Umso wichtiger ist es, hier eine breite gesellschaftliche und rechtspolitische Diskussion anzustoßen. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat unter der Leitung von Prof. Dr. Heide Pfarr eine konkrete Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz erarbeitet. Auf der Kooperationsveranstaltung des Landesfrauenrates mit dem Deutschen Juristinnenbund wurde diese Konzeption vorgestellt und lebendig diskutiert.
Kooperationsveranstaltung mit dem Deutschen Juristinnenbund
21. Februar 2022 | 18.00-19.30 | Online-Webinar
Die Vorsitzende des Landesfrauenrates Dr. Christine Rabe begrüßte die Runde mit dem Verweis auf die lange Vorgeschichte des Themas. Bereits 2001 hatte der djb im Auftrag der damaligen Frauenministerin Bergmann einen Gesetzesentwurf formuliert, der jedoch am Widerstand der Regierung unter Kanzler Schröder gescheitert war. Umso mehr freue sie sich, dass nun mit viel juristischem Sachverstand eine aktualisierte Gesetzeskonzeption erarbeitet wurde.
Christine Rabe begrüßte Prof. Dr. Heide Pfarr als Expertin und übergab ihr nach einer kurzen Vorstellung das Wort. Heide Pfarr bedankte sich für die Einladung und betonte zunächst die inhaltliche Ausrichtung des djb: Dieser sei keine berufsständische Institution für Juristinnen, sondern habe den Zweck, sich für die Rechte aller Frauen einzusetzen, und tue das vor allem durch den Einsatz juristischer Expertise. Aus dieser Grundmotivation heraus sei es dem djb ein Anliegen, die sich durch Digitalisierung und Globalisierung noch verstärkenden Diskriminierungsstrukturen in allen Bereichen abzubauen, in dem Fall durch die Lancierung einer geschlechtergerechten Unternehmenskultur.
Die nun vorzustellende aktualisierte Konzeption habe im Vergleich zu dem 2001 formulierten Gesetzesvorschlag das Element der wirkungslos gebliebenen Freiwilligkeit gestrichen und integriere neuere positive Entwicklungen, wie etwa die Möglichkeiten der Digitalisierung. Die gängigen Instrumente des Rechts versagten, etwa wenn sie verlangten, dass die Gleichstellung durch jene erfolgen soll, die diskriminiert werden. Auf diese Weise trügen, so Heide Pfarr, Individuen hohe Risiken, etwa beim Einklagen ihres faktisch bereits existierenden Rechts. Es sei kein Wunder, dass es in asymmetrischen Machtstrukturen mit einer strukturellen Ungleichheit der Vertragsparteien nur wenige Klagen vor der Arbeitsgerichtsgerichtsbarkeit gebe. Hier müsse ein Präventionsansatz her, der schon vor einer Diskriminierung greife.
Es sei wichtig zu verstehen, dass Betriebe sehr unterschiedlich seien. Ein allgemeines Gesetz mit vorgeschriebenen Maßnahmen würde daher an der Realität vorbeigehen – das zeige sich vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen. Dennoch solle der Gesetzesvorschlag alle Branchen und Größen abdecken. Daher empfehle der djb das Modell regulierter Selbstregulierung. Der Gesetzgeber müsse vorschreiben, „dass“ etwas geschehe, die Unternehmen müssten entscheiden, „wie“. So könnten passgenaue, effiziente und rechtssichere Lösungen gefunden werden. Dabei müsse die Leitungsebene adressiert werden, denn nur durch einen Top-down-Ansatz und die gleichzeitige Mobilisierung von Tarif- und Betriebsparteien könne eine langfristige Veränderung erwirkt werden. Dieser ganzheitliche Ansatz umfasse, so Heide Pfarr, vier zusammenhängende Handlungsfelder: Personalstruktur und -entwicklung, Entgelt, Arbeitszeit und Sorgearbeit sowie Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz. Der rechtlich verbindliche Gestaltungsauftrag verlange ein Handeln in allen Feldern. Die Handlungspflichten seien stufenweise zu erfüllen: 1. In einer Bestandsaufnahme würden Unternehmen verpflichtet, diskriminierende Strukturen zu ermitteln. 2. Durch die Analyse der erhobenen Daten müssten Ursachen von Schieflagen erkannt und benannt werden. 3. Die Unternehmen würden verpflichtet, ein betriebsspezifisches Gleichstellungskonzept zu entwickeln, dessen Umsetzung 4. nachweislich durch eine starke Durchsetzungsebene gewährleistet werden müsse. Der Gesetzgeber solle zunächst aktivieren, dann kontrollieren und nur im Falle von Umsetzungsdefiziten auch sanktionieren. Sanktionen, so Heide Pfarr, könnten dabei sowohl positiv – durch Zertifizierungen, Vergaberecht und Steuervorteile – als auch negativ – durch Bußgelder oder Ausschlüsse von Vergabeverfahren – auferlegt werden. Was den Vorschlag des djb ebenfalls zu einem wirksamen Tool mache, sei die Möglichkeit, als zivilgesellschaftliche Akteurin sanktionierend tätig zu werden, beispielsweise durch die Ermöglichung von Verbandsklagen und die Stärkung der Rechte von Betriebsräten und Gewerkschaften. Hierzu diene als eine wichtige Gelingensbedingung für Gleichstellungsmaßnahmen die Verpflichtung zur Transparenz. Berichte müssten, so Heide Pfarr, der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Nach einer überaus verdichteten Vorstellung der Gesamtkonzeption hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ihre Fragen und Standpunkte zu äußern. In einer regen Diskussion wurden diverse Aspekte besprochen und von Heide Pfarr beantwortet. So sei die Konzeption bewusst nicht als Gesetzestext ausformuliert worden, da zum einen durch die juristische Fachsprache der Text seine Zugänglichkeit verlöre und zum anderen sich der immense Aufwand nur lohne, wenn eine Aussicht auf Erfolg bestünde. Bei der derzeitigen Ampelkoalition sei diese leider nicht gegeben – etwa wurde die Möglichkeit für Verbandsklagen im Koalitionsvertrag explizit ausgeschlossen. Stattdessen hoffe Heide Pfarr einzelne Aspekte der Konzeption in anderen Gesetzesvorhaben einbringen zu können. Erfragt wurde ebenfalls die bürokratische Umsetzung und mögliche Interessenskonflikte zwischen Datenschutz und Transparenz. Es könne, so Heide Pfarr, nicht in unserem Interesse sein, im Zuge der Transparenz gläserne Beschäftigte zu fordern – das werde nicht nur bei der Frage nach non-binären Beschäftigten einsichtig. Heide Pfarr wies darauf hin, dass die Langfassung der Gesetzeskonzeption zu den Themen nicht-binäre Geschlechteridentität und Intersektionalität durchdachte Vorschläge biete, die auch im Austausch mit den jeweiligen Communities erarbeitet wurden. Eine Frage thematisierte die Rolle von Frauenbeauftragten. Diese sei, so die Antwort, wo es sie gebe, gerne zu stärken, werde aber durch den Vorschlag nicht explizit verlangt. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Gleichstellungsbeauftragte in der Praxis leider von der Betriebsführung zweckentfremdet eingesetzt und genutzt würden, oft nicht zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit.
Christine Rabe beurteilte die Konzeption, die Verpflichtung und Freiheit in der Gestaltung gleichermaßen aufgreift und auf allen Ebenen mitdenkt, als ungeheuer lukrativ und durchdacht. Wie jedoch könne die Debatte mehr Aufmerksamkeit bekommen und was könne der Landesfrauenrat beitragen? Die Teilnehmenden stellten in der daran anschließenden Diskussion fest, dass dieses Thema zwar immer brenne, aber nie Konjunktur habe. Es brauche daher eine gemeinsame Strategie, um das Thema weiter oben auf die Agenda zu setzen. Der Abend hätte gezeigt, dass es nicht an guten Vorschlägen mangele, sondern am politischen Willen.
Mit diesem Auftrag beendete Christine Rabe die diskussionsfreudige Runde und lud zur nächsten Veranstaltung des Landesfrauenrats am 21. März 2022 ein: „Frauen machen Berlin!“, eine Kooperationsveranstaltung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der EAF Berlin.
Konzeptionen eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft auf der Website des Deutschen Juristinnenbunds:
Präsentation von. Prof. Dr. Heide Pfarr (djb)
Ein Bericht von Elena Gußmann