Beitrag zur Veranstaltung:
Frauen Macht Berlin! (2019)
„Wann, wenn nicht jetzt?“
Der Appell von Dr. Helga Lukoschat aus der Schlussrunde der Diskussion über ein Parité-Gesetz in Berlin bringt die Atmosphäre des vorangegangenen Abends auf den Punkt und findet große Zustimmung auf dem Panel und im Publikum im Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Die hat zusammen mit dem Landesfrauenrat Berlin am 25. Oktober 2019 zur Konferenz „Frauen Macht Berlin!“ eingeladen. In ihrer Begrüßung betonen die beiden Organisatorinnen Dr. Nora Langenbacher (BerlinPolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung) und Dr. Christine Kurmeyer, (Vorsitzende des Landesfrauenrates Berlin) die Notwendigkeit von gleichberechtigter Teilhabe in den Parlamenten.
Und sie sehen eine günstige politische Ausgangslage, diese Parität jetzt in Berlin durchzusetzen. Barbara König (Staatssekretärin für Pflege und Gleichstellung) greift beide Aspekte – Notwendigkeit und Machbarkeit – in ihrem Grußwort „Berlin braucht Parität“ auf und zitiert Elisabeth Selbert, eine der wenigen „Mütter des Grundgesetzes“, die die mangelnde politische Teilhabe von Frauen als „Verfassungsbruch in Permanenz“ bezeichnet hat. Ein wichtiges Zitat zum Thema Parität, das in der juristischen Einordnung von Partié-Gesetzen durch Prof. Dr. Silke Laskowski (Universität Kassel) eine zentrale Rolle spielt.
Für die folgende Diskussion nehmen Prof. Dr. Silke Laskowski, Dr. Helga Lukoschat (Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft), Carola von Braun (Sprecherin der überparteilichen Fraueninitiative Berlin), Cansel Kiziltepe (MdB und Mitbegründerin des Berliner Netzwerks Parität) und Raed Saleh (Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu Berlin) im Rund der Fishbowl Platz, um über „Wege zu gleichberechtigter politischer Teilhabe“ zu debattieren, so der Untertitel der Konferenz.
Eine Runde mit viel politischer Erfahrung und juristischer Expertise. Und mit großer Einigkeit beim Thema. Die Frage nach Parität in der Politik sei kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem, wie die Moderatorin Dr. Uta Kletzing einleitend bemerkt.
Gerechtigkeit ist die Beschneidung der Rechte der Privilegierten.
Aber gerade die Umsetzung hat es in sich. Denn „Gerechtigkeit ist die Beschneidung der Rechte der Privilegierten“ wie Cansel Kiziltepe unterstreicht. Und deshalb werden entsprechend Widerstände gegen ein mögliches Berliner Parité-Gesetz erwartet. In Brandenburg, dem ersten Bundesland, das ein solches Gesetz auf den Weg gebracht hat, gibt es inzwischen die erste Klage beim Verfassungsgericht. In Thüringen, wo ebenfalls ein Parité-Gesetz verabschiedet wurde, wird mit Verfassungsbeschwerden gerechnet.
Der Ausgang dieser Verfahren wird von der Berliner Politik natürlich genau verfolgt, die Runde will solche Widerstände aber nicht überbewerten.
Ein bisschen Mut gehört zur Politik,
betont Raed Saleh. Und Prof. Dr. Silke Laskowski, Verfassungsrechtlerin und als Sachverständige bei der Entwicklung der Parité-Gesetze in Brandenburg und Thüringen eingebunden, dreht die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines solchen Gesetzes um: Sie zweifelt die Verfassungsmäßigkeit der bestehenden Verhältnisse an, da das Grundgesetz Chancengleichheit und Gerechtigkeit im passiven Wahlrecht zwischen Männern und Frauen vorsieht. Bei um die 30% Frauenanteil in den deutschen Parlamenten (Tendenz rückläufig) kann von Gerechtigkeit nicht die Rede sein.
Neben der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, ist die zweite große Frage, wie weit die Forderung nach Parität gehen soll – soll man sich in Berlin mit einer paritätischen Besetzung der Wahllisten zufrieden geben (wie in Brandenburg und Thüringen der Fall), oder auch eine paritätische Besetzung der Wahlkreise fordern – was eine Doppelspitze in den Wahlkreisen notwendig machen würde und damit in letzter Konsequenz auch eine Umstrukturierung der Wahlkreise, um das Parlament nicht noch größer werden zu lassen. Auch hier herrscht Einigkeit bei den Teilnehmenden– nur die große Lösung bringt wirklich Gerechtigkeit, da die Direktmandate für die Zusammensetzung des Parlaments zentral sind. Für Raed Saleh steht fest: „Ohne Gleichstellung gibt es immer Willkür und Ungerechtigkeit.“ Und er ist bereit, für „echtes Parité-Gesetz“, wie er die große Lösung nennt, zu kämpfen.
Niemand der Teilnehmenden setzt noch darauf, dass sich von selbst etwas an den bestehenden Strukturen ändern wird. Ohne staatliches Handeln werde sich nicht bewegen, betont Carola von Braun – „und das sage ich als Liberale“.
Insgesamt ist Aufbruchsstimmung zu spüren an diesem Abend. Das Jubiläum des Frauenwahlrechts im vergangen Jahr hat den Blick auf die mangelnde politische Teilhabe von Frauen gelenkt. Dr. Helge Lukoschat wünscht sich, dass jetzt schnell gehandelt und die Dynamik der Beschlüsse in Brandenburg und Thüringen genutzt wird: „Wir haben ein historisches Möglichkeitsfenster, die können sich auch schließen.“ Auch Carola von Braun sieht einen historischen Moment und stellt ein Parité-Gesetz in eine Reihe mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 und der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949. Wann, wenn nicht jetzt? Und, wie Dr. Uta Kletzing der Runde abschließend auf den Weg zurück in die politische Arbeit mitgibt: „Wo, wenn nicht hier?“
Ein Bericht von Denise Schöwing