Bericht zur Veranstaltung:
Ein zukunftsträchtiges Gesundheitswesen

Posted by on Okt 6, 2020 in Allgemein

Von Corona über mehr Patientensicherheit zu einem zukunftsträchtigen Gesundheitswesen

Was lernen wir aus der Krise? Was wären Anreize für uns und die politischen Entscheidungsträger*innen einige grundlegende Strategien im Gesundheitswesen zu überdenken und zu verändern?

Auf unserer Veranstaltung am 21. September sprachen wir mit Hedwig François-Kettner darüber, warum die bisherigen gemachten Erfahrungen uns zeigen, dass ein „weiter so“ nicht angebracht ist.

Das Thema Pflege ist eine Herzensangelegenheit von Hedwig Francois Kettner. Das merkt man sofort, wenn man mit ihr ins Gespräch kommt. Die gelernte Krankenschwester und langjährige Pflegedirektorin der Charité engagierte sich über Jahrzehnte ehrenamtlich, um für mehr gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit in der Pflege zu kämpfen. Auch nach ihrer Pensionierung bleibt sie im Thema und engagiert sich im Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS). Das APS ist ein Bündnis von Vertreter*innen verschiedener Gesundheitsberufe, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für die Verbesserung der Patient*innensicherheit in Deutschland einzutreten. Entsprechend leidenschaftlich spricht sie mit uns über Risiken, denen Patient*innen bei einem Krankenhausaufenthalt ausgesetzt sind. Medikationsfehler, Patientenverwechselungen oder Krankenhausinfektionen sind nur einige der Beispiele, die leider viel zu häufig vorkommen, auch heute noch.

Fehler entstehen häufig durch unzureichende Schutzmaßnahmen, ungeübtes oder nicht ausreichendes Personal und überforderte Führungskräfte: „Das hat uns die Krise noch mal deutlich vor Augen geführt“, sagte François-Kettner.

Fehler liegen im System

Für die Fehler sind nicht Einzelne verantwortlich, sondern das System und die Strukturen.Da Schutzkleidung wie zum Beispiel Masken zu Beginn der Krise nicht in Deutschland hergestellt wurden, waren anfangs Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen in allen Leistungsbereichen sowie in privaten Umgebungen erheblich erschwert.

Auch den Personalmangel sprach Frau François-Kettner an und nannte die Personalbesetzung in Deutschland katastrophal: „Deutschland steht an letzter Stelle im internationalen Vergleich der Industrienationen.“ Gründe dafür sieht François-Kettner u.a. in der Geringschätzung des Berufsfeldes oder in der Reduzierung professioneller Pflegestellen, bei gleichzeitiger Überbelastung, die sie unverantwortlich findet: Denn in Deutschland kommen durchschnittlich dreizehn Patient*innen auf eine Fachkraft, während es z.B. in den Niederlanden 7 und in Norwegen nur 5,4 sind (vgl. Simon&Mehmecke 2017).

Gleichzeitig werden Fachkräfte in ihrer Ausbildung nicht ausreichend auf Krisenfälle, wie wir sie gerade erleben, vorbereitet. Simulationen von besonders schwierigen oder stressigen Situationen oder Kommunikationstrainings, in denen angemessene Reaktionen und Sprachgebrauch eingeübt werden kann, gibt es kaum. Unsicherheit und Überforderung des Personals in Stresssituationen erhöht die Gefahr für Patient*innen ungemein.

Handlungsempfehlungen

Um diese Probleme anzugehen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die die Sicherheit von Patient*innen sicherstellen, gründeten im Jahr 2005 Vertreter*innen von Verbänden und Institutionen aus dem Gesundheitswesen das Aktionsbündnis Patientensicherheit. Seither arbeiten Arbeitsgruppen aus unterschiedlichen Fachrichtungen an Projekten und Publikationen mit dem Anspruch Probleme interdisziplinär und multiprofessionell zu bearbeiten. Zur Krise bezieht der unabhängige Verein eine klare Stellung: Die Erfahrungen aus der Krise müssen so schnell wie möglich aufgearbeitet werden. Wichtig ist es dabei interdisziplinär zu denken und alle an einen Tisch zu holen. Die unterschiedlichen Praxisbereiche und Professionen müssen dabei enger zusammenarbeiten. Darüber hinaus sieht das Bündnis Handlungsbedarf auf gesetzlicher Ebene. Das Gesundheitswesen ist Ländersache, was einheitliche Planungen, Korrekturen und Entwicklungen auf Bundesebene erheblich erschwert, was besonders während der Krise spürbar wird.

Dies schlägt sich beispielsweise in der Ausbildung des Personals wieder, hier fehlte zu lange ein einheitliches Curriculum, obwohl ein stärkerer Fokus auf die Patientensicherheit in allen Fachbereichen dringend nötig wäre. Fächer wie zum Beispiel Hygiene oder Ethik sollten für alle im Gesundheitssystem arbeitenden Personen standardisiert sein und über Berufsgruppen hinweg gemeinsam gelehrt werden.

Baustelle Gesundheitssystem

Nach dem Vortrag zeigte sich durch die vielen unterschiedlichen Fragen der Teilnehmer*innen, dass das Thema wirklich jede*n etwas angeht. Zwar erlebte das Thema Pflege und Gesundheitswesen gerade in der Krise einen Aufschwung, doch es ist bekannt wie schnell ein Medienhype auch wieder verebben kann, ohne dass wirklich etwas getan wurde. Den Tag vor dem Abend zu loben, davor warnt Hedwig François-Kettner: „Es bringt nichts, dass wir unter dem Strich kurzfristig gute Ergebnisse erzielen. In der Praxis sind die von der Politik beteuerten Unterstützungen nicht spürbar und bedürfen rascher Abhilfe.“

Wie viele unbearbeitete Baustellen es hinsichtlich des Gesundheitssystems in Deutschland gibt, wurde auch an den vielen Fragen deutlich, die unbeantwortet blieben.

Wir danken Hedwig François-Kettner insbesondere auch für das Aufzeigen dieser offenen Fragen, die beantwortet werden müssen, aber ebenso für den spannenden Einblick in ihre Arbeit und die des Aktionsbündnis Patientensicherheit.

Die Präsentation können Sie hier herunterladen: Präsentation_Patientensicherheit_Hedwig François-Kettner

Den Beitrag als pdf-Dokument können Sie hier herunterladen: Bericht zur Veranstaltung 21.09.20

Hier können Sie den Vortrag von Hedwig François-Kettner nachschauen:

 

Literatur:

Simon M., Mehmecke, S. (2017) Nurse to Patient Ratios. Ein internationaler Überblick über Staatliche Vorgaben zu einer Mindestbesetzung im Pflegedienst der Krankenhäuser Reihe: Forschungsförderung Working Paper, Nr. 27. Hans -Böckler -Stiftung, Düsseldorf