Eindrücke der einzelnen Kandidat*innen „auf dem heißen Stuhl“ (2017)
Photocredit: Rodrigo Barreto (mehr Infos hier)
Von Gleichstellung, Frauenquoten und antifeministischen Positionen – Eindrücke der Veranstaltung „Kandidatinnen auf dem heißen Stuhl“
Berlin, den 26.6.2017 – Mit Blick auf die anstehende Bundestagswahl bot der Landesfrauenrat Berlin e.V. ein Begegnungsforum zwischen Berliner*innen und Politiker*innen der aussichtsreichsten Parteien. Am vergangenen Montag lud er dafür ins Rathaus Charlottenburg. Die Besucher*innen der Veranstaltung wurden in Gruppen an 6 Tischen platziert. „Auf dem heißen Stuhl“ nahmen Eva Högl (SPD), Thomas Heilmann (CDU), Petra Pau (die Linke), Christoph Meyer (FDP), Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/die Grünen) und Beatrix von Storch (AFD) nacheinander für jeweils 15 Minuten bei einer Tischgruppe Platz, um nach Ablauf der Zeit im Uhrzeigersinn weiter zu wechseln. Welche Themen bewegten die Besucher*innen? Wie waren die Positionen der Kandidat*innen zu Themen wie Familienpolitik, Frauenquote, sexuelle Selbstbestimmung, Frauenarmut Equal Pay, die Situation der Hebammen & Co.? Unsere Bloggerin Yalda Franzen war live an einer Tischgruppe dabei.
Christoph Meyer von der FDP macht in unserer Runde den Anfang. Als Wahlkreiskandidat in Charlottenburg-Wilmersdorf wird er die FDP in den Bundestagswahlkampf führen. Er hat kurze blonde Haare, trägt seinen Anzug akkurat. Er schaut gespannt in die Runde. Die Stimmung ist gelöst.
Wie stehen Sie zur Leihmutterschaft?
Christoph Meyer (FDP): „Wir wollen die Reproduktionsmedizin öffnen, aber das Ausnutzen von Menschen aus ärmeren Ländern als Leihmutter ist auch ein Problem“
Was sind ihre Ansätze gegen Altersarmut?
Christoph Meyer (FDP): „Das Problem bei Frauen sind ja die Lücken in der Erwerbsbiographie durch Schwangerschaften“. Deswegen braucht es „ein besseres, gerechteres Lohnsystem im Erwerbsleben, zum zweiten Eingliederung von Frauen durch Digitalisierung, Lebensarbeitszeitkonten, generell eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten“.
Wie steht ihre Partei zum Modell der obligatorischen paritätisch geteilten Elternschaft, wie es in Schweden praktiziert wird?
Christoph Meyer (FDP): „Grundsätzlich würde ich es beiden Elternteilen überlassen wollen“. „Man könnte sich durchaus vorstellen, über ein finanzielles Anreizsystem nachzudenken, aber die obligatorische paritätische Elternschaft fände ich zu weitgehend“.
Es folgt die bei weitem umstrittenste Kandidatin des Abends, Beatrix von Storch (AfD). Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei und in Berlin eine der beiden Landesvorsitzenden. In Bezug auf ihre Einladung hagelte es im Vorfeld von verschiedenen Seiten Kritik. Sie stellt sich in unserer Runde ausdrücklich als Nicht-Feministin vor und scheint sich innerlich auf Widerworte eingestellt zu haben – nachdem schon am Tisch zuvor drei Frauen während ihres Auftrittes den Raum verlassen haben. Kein Lächeln, sondern ein Pokerface, sie gießt sich ein Wasser ein.
Frau von Storch, ich mache jetzt was Gemeines, ich bitte um Verzeihung – als Sie vorgestellt wurden, kam es mir vor, als würde mir mein Großvater etwas über Sitte und Anstand erzählen – Ist das eigentlich zeitgemäß, was Sie vertreten?
Beatrix von Storch (AfD): „Die politischen Inhalte, die wir vertreten, vertreten wir, weil wir davon überzeugt sind, dass sie richtig sind. Die Inhalte, die wir haben, finden sie ja bei keinem anderen. Die anderen erzählen Ihnen ungefähr alle das Gleiche und ich erzähle Ihnen ungefähr in jedem Punkt das Gegenteil“.
(Zwischenruf aus der Tischgruppe). Das meinen Sie vielleicht!
„Wir sind zum Beispiel nicht für die Gleichstellung, diese lehnen wir ausdrücklich ab. Wir sind für die Gleichberechtigung und halten diese für im Wesentlichen erreicht. Und ja, es gibt Menschen, die das unterstützen“ (auf die fragenden Blicke in der Runde). „Sprechen Sie mal mit einem jungen männlichen weißen Polizeibeamten, der hat schon gar keine Chance mehr, befördert zu werden, weil ja vermehrt Frauen gefördert werden, meistens auch noch mit Migrationshintergrund“.
Also, erst einmal – Ich stimme Ihnen überhaupt nicht zu und liege ich richtig, dass Sie dann auch gegen die Frauenquote sind?
Beatrix von Storch (AfD): „Wir sind gegen Quoten, weil sie eine Diskriminierung des Einzelnen zugunsten einer gedachten Gruppe bedeutet – wir diskriminieren den einzelnen Mann, um die Gruppe der Frau insgesamt zu bevorzugen. Wir denken, dass Quoten ungerecht sind, sie sind leistungsfeindlich.“
Sie haben gesagt, sie möchten jede Form von Gender Studies abschaffen, sowie die Soziologie an der FU – Haben Sie vor, alles abzuschaffen, was Ihnen nicht gefällt?
Beatrix von Storch (AfD): „Wir wollen keine Wissenschaft abschaffen, aber Gender Studies ist keine Wissenschaft, sondern eine Ideologie. Die Vorstellung, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist, halten wir für Blödsinn, für ausgemachten Quatsch. Wenn man sagt, man könne sich sein Geschlecht einbilden, dann wäre das so, als würde ich sagen: „Ich bin ein zwei Meter großer 80-jähriger Chinese und möchte bitten so behandelt werden. Das sollte mit keinem Cent unterstützt werden“.
Mit Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/ Die Grünen) kommt ein Strahlen an unseren Tisch, welches dringend nötig ist. Die Stimmung ist durch das Gespräch mit Frau von Storch eher aufgeheizt, viele empörte Gesichter und leere Blicke bleiben nach ihren Worten. Im Gegensatz zu seiner Vorrednerin wirkt Stephan Gelbhaar entspannt und unverkrampft. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Als Sprecher für Verkehrs-, Medien- und Netzpolitik ist er kein ausgewiesener Experte für Frauenpolitik, trotzdem steht er auch diesbezüglich Rede und Antwort.
Inwiefern hängt ihre Forderung von bezahlbarem Wohnraum mit Frauenpolitik zusammen?
Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen): „Nicht bezahlbarer Wohnraum trifft vor allem alleinerziehende Mütter, da sie häufiger von Armut betroffen sind“.
Und was wollen Sie genau für diese Frauen tun?
Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen): „Es hat sich gezeigt, dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert, wie sie funktionieren sollte. Wir fordern, dass die Bezirksämter Milieuschutz garantieren und mindestens ein Drittel günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen.“
Mit dem Zuzug vieler Menschen aus dem arabischen Raum ist auch das Thema Genitalverstümmelung präsenter geworden – wie könnte man es angehen?
Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen): „Gewalt gegen Kinder ist natürlich nicht akzeptabel – man muss ganz klar sagen, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht. Allerdings ist das Thema häusliche Gewalt ein viel Bedeutsameres in Deutschland, deswegen sollte man die Frauenhäuser gut durchfinanzieren“.
Was sagen Sie zum ewigen Leidthema der Hebammen und ihrer Haftpflichtversicherung?
Stephan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen): „Man müsste die Haftpflicht sozialisieren“.*
Eva Högl (SPD) löst Stephan Gelbhaar ab. Zielstrebig setzt sie sich auf den „heißen Stuhl“. Sie trägt einen leuchtend roten Hosenanzug. 2013 wurde sie mit großer Mehrheit zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt. In dieser Funktion ist sie für die Themengebiete Inneres, Recht und Verbraucherschutz zuständig.
Was plant die SPD zu bezahlbarem Wohnraum?
Eva Högl (SPD): „Mehr Wohnraum generell, ein klares Programm für sozialen Wohnungsbau, Mietpreisbremse anpassen, durch mehr Transparenz und Auskunftspflicht über den vorherigen Mietpreis durch den Vermieter, einen einheitlichen Mietspiegel aufstellen, idiotische Modernisierung verbieten durch Wirtschaftlichkeitsprüfung und natürlich Milieuschutz.“
Mir liegen ja die Hebammen sehr am Herzen, wie kann man Ihnen helfen?
Eva Högl (SPD): „Ja, also, hier braucht es dringend eine tragfähige Lösung, sonst ist der Beruf ausgestorben. Man müsste ihre Sozialversicherung durch andere Töpfe deckeln“.
Was plant die SPD gegen Frauenhandel und Prostitution zu tun?
Eva Högl (SPD): „Wir haben generell schon die Haltung, dass Prostitution eine Art Erwerbsarbeit ist, welche aber dringend aus Abhängigkeiten gelöst werden muss und es muss natürliche härtere Strafen beim Menschenhandel geben“.
Eine meiner Lieblingsfrage für Sie, Frau Högl. Wie steht ihre Partei zum Modell der obligatorischen paritätisch geteilten Elternschaft, wie es in Schweden praktiziert wird?
Eva Högl (SPD): „Also, diese zwei Vätermonate sind zu kurzgreifend. Also, ja, ich wäre für das Modell!“
Thomas Heilmann (CDU) ist seit 1980 Mitglied der CDU. Er war vom Januar 2012 bis Dezember 2016 Senator für Justiz und Verbraucherschutz. Obwohl er sich schon vier anderen Tischen gestellt hat, macht er einen entspannten und erholten Eindruck. Rückt sein Jackett zurecht, trinkt einen Schluck.
Wie steht die CDU zu weiblicher Genitalverstümmelung?
Thomas Heilmann (CDU): „Genitalverstümmelung ist eine Straftat. Menschen aus anderen Kulturkreisen müssen über ihre Rechte und Pflichten in Deutschland aufgeklärt werden“.
Als Hatice findet man schwerer einen Job, als mit dem Namen Marie. Was tut die CDU gegen die Diskriminierung von Frauen mit ausländischen Namen im Berufsleben?
Thomas Heilmann (CDU): „Ich muss zugeben, in dieser Hinsicht gibt es wirklich Entwicklungsbedarf“. Auf weiteres Nachhaken des Plenums: „Ich würde ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren unterstützen.“
Was tun sie für die Situation von Hebammen in Deutschland?
Thomas Heilmann (CDU): „Es gibt gerade noch keinen konkreten Plan, aber die Thematik ist mir bekannt“.
Was sind Ihre Ansätze gegen Altersarmut?
Thomas Heilmann (CDU):„Ich unterstütze das Konzept der Lebensleistungsrente von Frau van der Leyen“.**
Und was tun Sie für Frauen ohne nennenswerte Erwerbsarbeit?
Thomas Heilmann (CDU):„ Ich denke, eine Mütterente kann ausgebaut werden, aber 30 Jahre Lebenslauf ohne Erwerbsarbeit können nicht verändert werden“.
Als letztes nimmt Petra Pau (die Linke) in unserer nun schon sehr eingespielten Gruppe Platz. Sie ist Mitglied im Vorstand der Fraktion Die Linke und seit April 2006 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Sie hat kurze rötliche Haare, wirkt interessiert und zugewandt.
Welche Zeichen setzt ihre Partei gegen häusliche Gewalt?
Petra Pau (Die Linke): „Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem, was anerkannt werden muss und nicht auf Länder und Kommunen abzuwälzen ist. Zudem muss die Sensibilisierung bei Erzieher*innen, Lehrer*innen, Polizist*innen und Jurist*innen für das Thema steigen“.
Apropos Sensibilisierung, was sagen Sie zur Situation von Hebammen in Deutschland?
Petra Pau (Die Linke): „Ich muss zugeben, ich bin nicht so sehr mit dieser Thematik beschäftigt, aber die Haftpflicht muss weg!“
Was plant die Linke gegen Frauenhandel und Prostitution zu tun?
Petra Pau (Die Linke): „Ausgangspunkt ist natürlich immer der betroffene Mensch. Möchte er freiwillig dieser Arbeit nachgehen, ist das okay, Zwang muss dagegen bekämpft werden“. Zudem gibt es eine Gruppe, die besonders geschützt werden muss: Geflüchtete und ältere Frauen. Menschenrechte müssen gewahrt werden“.
Unsere letzte Frage für heute – Wie sehen die Ansätze der Linke für bezahlbaren Wohnraum aus?
Petra Pau (Die Linke): „Es muss eine bundesgesetzliche Lösung geben und eventuell auch feministischen Wohnungsbau – wohnen ist ein Menschenrecht und es sind besonders viele Frauen von Wohnungsnot betroffen“.
Auch wenn an diesem Abend besonders eine Kandidatin durch ihre Antworten heraussticht, darf das nicht über den Eindruck hinwegtäuschen, dass sich auch die anderen Kandidat*innen in ihren politischen Vorhaben grundsätzlich oder in Nuancen voneinander unterscheiden: Das gilt in der Wahrnehmung des Ist-Zustands der Frauenpolitik oder in dem Ausmaß, in dem in frauenpolitischen Fragen Handlungsbedarf attestiert wird.
*Auf der Seite der Grünen Fraktion im Bundestag steht dazu: „Wir wollen die teuren Haftpflichtversicherungen in der Geburtshilfe sowohl bei Hebammen als auch bei ÄrztInnen in ein öffentlich-rechtliches Haftpflichtsystem für alle Gesundheitsberufe überführen.“
** Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll es sich dabei um eine Aufstockung der Altersrente handeln, die aus Steuereinnahmen finanziert wird, also beitragsunabhängig ist. Die Menschen sollen von der Lebensleistungsrente profitieren, die trotz eines langen Arbeitslebens und damit verbundener Beitragszahlung von mindestens 30 Jahren in die Gesetzlichen Rentenversicherung nicht genügend Altersente zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts beziehen